10. Dezember 2024, 18.00 bis 21.00, Festsaal der Arbeiterkammer Steiermark
„Eine neue Friedensbewegung auf europäischer Ebene ist nötig“ (August Pradetto)
Beim Symposium „Krieg und militärische Bedrohung: Gibt es friedliche Lösungen?“ im bis auf den letzten Platz gefüllten Festsaal der Arbeiterkammer diskutierten am 10. Dezember 200 Teilnehmer/innen Alternativen zu Aufrüstung und Krieg als „Lösung“ für Bedrohungsszenarien.
Die einleitenden Referate hielten Univ.-Prof. Dr. August Pradetto, Gerald Karner, Mag.a Stephanie Fenkart MA und Mag. Dr. Thomas Roithner, danach folgte eine von Mag.a Renata Schmidtkunz moderierte Publikumsdiskussion. Das Symposium fand mit Unterstützung durch die Stadt Graz und von 35 zivilgesellschaftlichen Organisationen statt.
Es gehe darum, „der derzeit vorherrschenden Kriegslogik mit einer Friedenslogik zu begegnen“: Mit diesen Worten beschrieb Sigrid Binder als Vertreterin des Veranstalters, der Grazer Initiative für Frieden und Neutralität, einleitend das Leitmotiv des Abends.
In seiner darauffolgenden Begrüßungsrede stellte Stadtrat Mag. Robert Krotzer in Vertretung von Bürgermeisterin Elke Kahr fest: In einer Zeit, in der Krieg für die Mächtigen in Ost und West wieder zu einem Mittel geworden ist, um geopolitische Interessen durchzusetzen, in der das Propagieren von Kriegslogik und militärischen Lösungen, das beständige Schüren von Feindbildern, das Säen von Hass zwischen Menschen und Völkern wieder allgegenwärtig seien, brauche es Stimmen für den Frieden, für Völkerfreundschaft und für ein Schweigen der Waffen, für ein Abrüsten der Worte und der Waffensysteme. Angesichts der menschlichen Opfer auf den Kriegsschauplätzen der Welt, angesichts der sozialen Probleme, der weltweiten Armut und der globalen Klimakrise sei es im tiefsten Interesse der Menschheit und ihre erste Aufgabe, jeden Krieg so rasch wie möglich zu beenden. Dafür brauche es mutige Stimmen in allen Ländern. Krotzer dankte der GIFFUN für ihre Initiative, die im Einklang mit den Zielen der Friedensstadt Graz stehe, und schloss mit den Worten von Berta von Suttner: „Die Waffen nieder!“
Aufrüstung für geopolitische Dominanz
Der Politikwissenschafter Univ.-Prof. em. Dr. August Pradetto, der sich im Rahmen seiner Lehr- und Forschungstätigkeit – zuletzt an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg –schwerpunktmäßig mit außen- und sicherheitspolitischen Fragen beschäftigte, wies am Beispiel jüngster gemeinsamer Manöver der deutschen Bundeswehr mit anderen europäischen und den US-amerikanischen Streitkräften in Alaska und im Indopazifik auf die Überschreitung der rechtlichen Grundlagen hin, auf welchen (die deutsche) Sicherheitspolitik bis jetzt beruhte. Aktuell bereits in Umsetzung befindliche Maßnahmen wie etwa die Herstellung der Kriegstauglichkeit von Handelshäfen und Spitälern beruhten auf der Annahme eines russischen Angriffs auf die europäischen NATO-Länder innerhalb der nächsten fünf bis sieben Jahre – ein laut Pradetto „surreales Szenario“ angesichts der Offenbarung der Schwäche der russischen Streitkräfte im Ukrainekrieg und der Tatsache, dass die russische Wirtschaft gerade mal so stark sei wie jene Italiens. Fernab von den Fakten werde eine ,Siegpropaganda‘ entfaltet, welche zusätzliche Aufrüstung legitimieren solle. Deutschland gebe zum Beispiel derzeit das Doppelte von vor sieben Jahren fürs Militär aus, dieser Betrag von derzeit 80 Mrd Euro solle noch einmal auf 120 Mrd aufgestockt werden.
Gleichzeitig sei weltweit eine „Geopolitisierung der außenpolitischen Klasse“ festzustellen: Seit dem Zerfall der Sowjetunion und angefeuert durch das in der Folge entstandene Machtvakuum werde weltweit darauf hingearbeitet, Dominanz auf geopolitischer Ebene zu erlangen bzw. wiederzuerlangen. Alle Interventionskriege der 2000-er und 2010-er Jahre seien vor diesem Hintergrund zu sehen – auch die Vorstellung, die zukünftige geopolitische Auseinandersetzung werde zwischen einem kollektiven Westen und einer Achse des Bösen stattfinden, als die im Wesentlichen Russland, China, Nordkorea und der Iran bezeichnet werden. Diese Vorstellung habe auch in erschreckendem Ausmaß auf die Europäische Union übergegriffen. So spreche die Kommissionspräsidentin nicht mehr, wie es früher üblich war, vom Friedensprojekt, sondern vom geopolitischen Player Europa.
Die derzeitige Führungsgarnitur der EU, der NATO und auch die kommende der USA bestehe aus Personen, die einer ungehemmten Kriegslogik folgten – die einzige Möglichkeit, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, sei eine neue Friedensbewegung auf europäischer Ebene. Deren Aufbau sei allerdings derzeit wegen des Überfalls Russland auf die Ukraine eine sehr schwierige Aufgabe: „Putin ist nicht nur der Arbeitgeber des Jahrzehnts für die westliche Rüstungsindustrie, sondern gleichzeitig auch der Totengräber der westlichen Friedensbewegung.“
„Rascher Beschluss der neuen Sicherheitsstrategie“
Gerald Karner, ehemaliger Brigadier und Leiter der Abteilung Militärstrategie im österreichischen Verteidigungsministerium, sah die größte Sicherheitsbedrohung in der Destabilisierung der Gesellschaft durch Desinformation und Propaganda, weiters in möglichen Einschränkungen der Versorgungssicherheit, strategischem Terrorismus, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und in den Auswirkungen regionaler Konflikte auf Österreich. Er forderte den raschen parlamentarischen Beschluss der bereits erstellten neuen Sicherheitsstrategie, deren oberste Ziele sein solle, die Demokratie zu schützen, die politische Stabilität zu erhalten und die Bevölkerung zu schützen. Im Bereich der militärischen Sicherheit forderte er eine Diskussion über eine Ausweitung der Assistenzeinsätze zur Unterstützung ziviler Behörden (z.B. zur Katastrophenhilfe, gegen Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur und zur Sicherung der Versorgung). Das Militär müsse in die Lage versetzt werden, den österreichischen Luftraum zu schützen, multinationale Abwehraktionen zu unterstützen und militärischer Kontingente zur Friedenssicherung zu stellen. In der Sicherheitsstrategie seien weiters Art und Umfang der militärischen Kräfte zu definieren, die den zivilen Kräften zur Seite stehen. Karner vertrat die Ansicht, dass friedliche Mittel zur Lösung von Konflikten nur dann wirksam seien, wenn alle Beteiligten einer solchen Lösung zustimmen – es reiche ein einziger aggressiver Akteur, um den Einsatz militärischer Mittel notwendig zu machen.
Die unterschiedliche Wahrnehmung aktueller Kriege
Mag.a Stephanie Fenkart, Direktorin des Wiener International Institute for Peace und Mitglied des Strategie- und sicherheitspolitischen Beirates der Wissenschaftskommission des Österreichischen Bundesheeres, machte darauf aufmerksam, dass die Wahrnehmung von Kriegen unterschiedlich sei. So werde der Krieg in der Ukraine von den meisten Staaten der Welt mit Ausnahme der europäischen und der USA als Krieg zwischen Russland und dem „kollektiven Westen“ rezipiert, und auch Putin äußere sich so. Wir seien also – ob wir es wollten oder nicht – bereits Teil dieses Krieges. Ähnlich unterschiedlich sei die Wahrnehmung des Krieges gegen Gaza – während vor allem Österreich und Deutschland unter dem Druck der Verantwortung für den Holocaust sich bedingungslos auf die Seite Israels stellten, sähen die meisten anderen Länder die Palästinenser als Opfer. Friedensbemühungen müssten diese unterschiedlichen Sichtweisen in Betracht ziehen. Österreich könnte an solchen Bemühungen teilhaben, sehe sich allerdings immer öfter dem Vorwurf ausgesetzt, es verfolge Doppelstandards in der Beurteilung von Konflikten. Sie forderte eine eindeutige Positionierung Österreichs in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte und auf den Umgang mit zunehmend autoritären Staaten innerhalb der EU sowie die Aufrechterhaltung des Dialogs mit allen Staaten. Eine Mediationsrolle könnte Österreich als neutraler Staat vor allem noch im Bereich der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle einnehmen, so wie es ja auch bereits auch am Zustandekommen des Atomwaffenverbotsvertrags maßgeblich beteiligt war.
Sicherheit neu denken
Der Politikwissenschafter und Friedens- und Konfliktforscher Dr. Thomas Roithner machte darauf aufmerksam, dass in den letzten Jahren in den internationalen Beziehungen viel Vertrauen und eine große Zahl von Abrüstungsverträgen verloren gegangen sei. Diesen Entwicklungen stellte er das Konzept „Sicherheit neu denken“ gegenüber, das von zivilgesellschaftlichen Akteuren in europäischen Staaten, aber auch darüber hinaus diskutiert werde und die Sicherheit von Menschen (und nicht die von Staaten) in den Mittelpunkt stelle – das inkludiere das Eintreten für ökonomische Verteilungsgerechtigkeit ebenso wie die Lösung ökologischer Probleme. Basierend auf diesem Konzept wurde eine zivilgesellschaftliche österreichische Friedensstrategie entwickelt; während aber militärische Strategien geplant und mit ausreichenden Budgets versehen werden, bleibe die Finanzierung ziviler Einsatzkräfte ungesichert und zu gering – im Gegensatz zur Situation in Finnland oder Schweden. Das gleiche gelte für die Entwicklung diplomatischer Kapazitäten, die, wenn sie einen Krieg schon nicht verhindern, so doch durch verschiedene Abkommen das Leben von Betroffenen erleichtern können – wie etwa im Ukrainekrieg das Getreideabkommen oder die Gewährleistung der Sicherheit von Atomkraftwerken. Bis 2029, so Roithner, sollte außerdem ein ziviler Friedensdienst eingeführt werden, der lokale Organisationen in Krisen- und Konfliktgebieten dabei unterstützt, die Ursachen von Konflikten zu bekämpfen bzw. deren Folgen zu minimieren. In Deutschland wurde ein solcher Friedensdienst bereits erfolgreich implementiert.
In der auf die Referate folgenden Publikumsdiskussion kam vor allem der Wunsch vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Handlungsmöglichkeiten und der Wille zum eigenen Engagement gegen Aufrüstung und Kriegstreiberei zum Ausdruck.
Mehr friedenspolitische Themen im öffentlichen Diskurs
In ihren abschließenden Worten skizzierte Elfi Gaisbacher für die Grazer Initiative für Frieden und Neutralität die unmittelbaren Ziele der Initiative, die vor zwei Jahren von einer Gruppe friedensengagierter Grazerinnen und Grazer gegründet wurde. Der GIFFUN gehe es an erster Stelle darum, friedenspolitische Themen auf lokaler Ebene wieder stärker in den öffentlichen Diskurs einzubringen und Alternativen zur derzeitigen Politik der Militarisierung und Aufrüstung aufzuzeigen. Dazu wurde eine Reihe gut besuchter Diskussionsveranstaltungen organisiert, Medienarbeit geleistet und verschiedene Aktionen im öffentlichen Raum durchgeführt, unter anderem zum Tag der Kriegsdienstverweigerung oder vor einem Jahr – ebenfalls am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte – in Form einer Menschen- und Lichterkette in Solidarität mit allen Opfern von Krieg, Terror und Unterdrückung. Abschließend dankte Gaisbacher Bürgermeisterin Elke Kahr – eine der 130 österreichischen „Mayors for Peace“ – für ihre Unterstützung der friedenspolitischen Arbeit der Initiative.
Christian Stenner